Les enfants d’Isadora
Nach dem Unfalltod ihrer beiden Kinder im April 1913 choreografierte Isadora Duncan, die Begründerin des modernen Tanzes, ein Solo mit dem Titel «Mutter», in dem sie dieses traumatische Erlebnis in einem zarten Bewegungszauber zu exorzieren versuchte. Ein Jahrhundert später konfrontieren sich vier sehr unterschiedliche Tänzerinnen mit dem künstlerischen Erbe einer persönlichen Tragik.
Werkangaben
- Regie
- Damien Manivel
- Drehbuch
- Damien Manivel, Julien Dieudonné
- Produktion
- Damien Manivel, Martin Bertier
- Kamera
- Noé Bach
- Schnitt
- Dounia Sichov
- Besetzung
- Agathe Bonitzer, Manon Carpentier, Marika Rizzi, Elsa Wolliaston, Julien Dieudonné
- Land, Jahr
- FR / KR 2019
- Dauer
- 84 Minuten
- Verleih
- Sister Distribution
Zitat
«Ein Film über Performance und die Wahrheit des Körpers.
Des tanzenden, des behinderten, des alten Körpers.
Zwischen den Bildern ergibt sich diese Wahrheit, schwebend und langsam.
Am Ende dieser Suche und Reise durch die Körper
hat man selbst nicht weniger als eine Initiation durchlebt.»
Artechock.de, 20.03.2020
Kommentar
Von der berühmten Tänzerin Isadora Duncan gibt es eine Fotografie, auf der sie mit ihren beiden Kindern zu sehen ist; mit beiden Armen umfängt sie Deirdre und Patrick wie eine moderne Schutzmantelmadonna. 1913 sassen die Kinder in einem Auto, das wegen einer Unachtsamkeit des Chauffeurs in die Seine stürzte. Beide ertranken. Auch von der Bergung des Wagens gibt es ein Foto. In dem Film «Isadoras Kinder» ist es auf dem Laptop einer jungen Tänzerin von heute zu sehen, die sich mit «La mère» beschäftigt, also mit jener Darbietung, mit der Isadora Duncan damals auf den Verlust reagierte, über den sie nie hinwegkam.
Das erste Drittel des Films ist dieser namenlosen, schweigsamen Frau gewidmet, von der man annehmen muss, dass sie selbst keine Kinder hat, also keine Mutter ist. Sie ist eines von vier «Kindern» von Isadora Duncan. Gemeint ist eine Beziehung durch künstlerische Nachfolge, einen körperlichen Vollzug einer Bewegung, die einerseits ganz konkret ist, denn es soll ja der Tanz wieder-aufgeführt werden. Die Bewegung geht allerdings darüber hinaus, denn schon Duncan verstand ihre tänzerische Trauerarbeit als Teil eines weiter reichenden Zusammenhangs. Sie verstand sich als eine Art Medium, das einen Tanz wiederbelebte, der viele Jahre «geschlafen» hatte und den sie nun mit ihrem Kummer aus der Verborgenheit holte.
Damien Manivel, der Regisseur von Isadoras Kinder, setzt also diese «translatio» eines Tanzes bis in die Gegenwart fort, und er überträgt sie auch auf die Form seines Films: Es geht nicht so sehr darum, für «La mère» eine gültige, gegenwärtige Interpretation zu finden. Stattdessen verteilt sich der Tanz auf verschiedene Rollen und Gesten: von der Tänzerin zu Beginn wechselt die Szene zu einer Choreographin, die mit einem Mädchen mit Down-Syndrom für eine Aufführung probt, bei der dann eine alte, schwarze Frau im Publikum sitzt, der Manivel danach auf ihrem Heimweg folgt. Schlägt man nach, findet man heraus, dass Elsa Wolliaston, die diese Rolle spielt, eine bedeutende, interkulturell tätige Choreographin und Tänzerin ist. «La mère» spielt hier sehr klug mit mythischen Registern: Elsa Wolliaston weckt mit ihrer mächtigen Physis Assoziationen mit anderen Muttergottheiten als der christlichen Madonna.
Zugleich steht die Figur hier am Ende eines höchst modernen Prozesses von Aneignung und Interpretation, in den Manivel auch die sehr technisch aussehende Notation des Tanzes einbezieht. Das Mädchen Manon wiederum hebt auf seine Weise den Unterschied zwischen einer künstlerischen und einer existentiellen Interpretation von «La mère» auf.
FAZ, 22.03.2020
Filmografie
- 2022
- Magdala
- 2019
- Les enfants d’Isadora
- 2017
- Takara - La Nuit où j’ai nagé
- 2016
- Le Parc
- 2015
- Un jeune poète
Auszeichnungen (Auswahl)
- 2019
- Locarno Film Festival: Best Director
- 2019
- San Sebastián International Film Festival: Special Mention

Hladivode – Cooling Waters
In den Anhöhen um Sarajevo sind Männer zu sehen, die im Nebel geschäftig um ein leerstehendes Haus herum zu tun haben. In einer einzigen, langsamen Kamerafahrt vereinen sich wilde Natur und schnurgerade Bauwerke, die Gesten der Gegenwart und die Ruinen der Vergangenheit.