Critical Zone

Vorstellung vom
  • Regie: Ali Ahmadzadeh
  • IR/DE 2023
  • 99 Minuten
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Critical Zone

Teheran bei Nacht. Aus einem fahrenden Auto stülpt sich eine Frau aus dem Seitenfenster, zieht sich das Kopftuch herab und brüllt ein kräftiges, lautes, erschütterndes «Fuck You!» in die schlafende Stadt. Der Führer durch diese traurige, immer müde Welt ist Amir, ein Drogendealer. Wir sehen ihn, wie er zu Hause präzise und ruhig wie ein Apotheker seine Drogen sortiert und in kleine Döschen und Päckchen verpackt. Dann setzt er sich ins Auto und fährt nachts durch die Stadt zu seinen Kunden, denen er mit seinen halluzinogenen Mitteln ein wenig Erleichterung verschafft. Seine Kunden sind jung, verzweifelt, voller Ängste und Hemmungen. Keiner traut sich, von einer besseren Zukunft zu träumen. Amirs Drogen betäuben ihren Schmerz, aber mehr auch nicht.

Werkangaben

Regie
Ali Ahmadzadeh
Drehbuch
Ali Ahmadzadeh
Produktion
Sina Ataeian Dena, Ali Ahmadzadeh
Kamera
Abbas Rahimi
Schnitt
Ali Ahmadzadeh
Musik
Milad Movahedi
Besetzung
Amir Pousti, Shirin Abedinirad, Maryam Sadeghiyan, Alireza Keymanesh, Saghar Saharkhiz, Mina Hasanlou
Land, Jahr
IR/DE 2023
Dauer
99 Minuten
Verleih
W-film (DE)
Altersempfehlung
16

Zitat

Critical Zone gehört – das kann man ohne Übertreibung sagen – zum Radikalsten, was das ohnehin wagemutige iranische Kino in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. [...] Der Lohn: Hauptpreis beim renommierten Festival von Locarno – und ein Ausreiseverbot.
Martin Gobbin
Critic.de, 12.12.2023

Kommentare

Diese tonale Meisterleistung wird in einer Szene besonders deutlich: Ein Altersheim, heimlich mit Drogen versorgt, diskutiert über Literatur aus ihrer Kindheit. «Wenn du zu mir kommst, bring Licht» – iranische Poeten werden rezipiert. Dreherlaubnis hatte das Filmteam natürlich nicht, um Schauspieler:innnen handelt es sich – wie bei beinah allen Szenen – auch nicht. Wo hört Fiktion auf und fängt Dokumentarfilm an? Ahmadzadeh fängt mit seiner Kamera ein, was sonst hinter verschlossenen Türen geblieben wäre. Etwaige Genrefragen sind überflüssig. Der Film findet die unterschiedlichsten Bilder, um eine Bevormundung darzustellen. Die Stimme eines Navis, eine Mutter, die ihrem Sohn füttert, ein Dealer und seine Kunden. Ein Altersheim auf Drogen. An einen iranischen Klassiker muss man besonders denken: Ten (2002) von Abbas Kiarostami, in welchem pseudo-dokumentarisch Frauen auf ihrem Weg durch den Tag begleitet werden. Die Kamera bleibt dabei stets im Auto, dieses wird Raum des Dagegenseins. Während Ten Frauen im Widerstand zeigte, so ist Critical Zone ein Porträt der Symptome des modernen Lebens im Iran. Eines Lebens aus dem Gleichgewicht. Das Auto kehrte in Ten als Hollywood-Wahrzeichen der Freiheit zurück – Critical Zone setzt mithilfe des diktatorischen Navigationsassistenten ein Fragezeichen dahinter.
Niklas Michels
Kino-Zeit.de

Kommentare

Immer scheinen durch das Dunkel der Nacht die bunten Lichter Teherans – allerdings transportieren sie keinen Hoffnungsschimmer, halten keine Erlösung bereit für die existenzielle Einsamkeit, an denen die Figuren des Films leiden. Diese Stadt und dieses Land, regiert von Fanatikern, haben den Menschen nichts mehr zu bieten. Sie fliehen, bewegen sich unter dem Radar und suchen nach der kleinen Freiheit im Rausch. Die Verzweiflung schlummert unterschwellig und bricht sich nur ganz selten Bahn, vielmehr hat sich Abgestumpftheit und Sprachlosigkeit breit gemacht. Der Höhepunkt des Films ist der einzige Moment, in dem der bärtige Drogenkurier kurz der Schwere entkommen kann. Eine Flugbegleiterin bringt ihm, im Austausch für Opium, Koks mit und, darüber freut sich Amir fast noch mehr, zwei Tuborg-Bier, ein kostbares Gut im Iran. Das Stöhnen der zierlichen Frau, als sie mit Amir intim wird, steigert sich zu einem surreal anmutenden Ur-Schrei, in dem solch enorme Kräfte stecken, dass den Mullahs in Teheran das Herz in die Hose rutschen müsste. Angst hat das iranische Regime vor Filmen wie diesem. Critical Zone ist ein echter Underground-Film: Weil Ahmadzadehs im Iran keine Dreherlaubnis hat, mussten er und seine Crew im Geheimen arbeiten und ständig auf der Hut sein. Eigenen Angaben zufolge drehte er den Film mit drei Mini-Kameras, die sich im Zweifelsfall leicht verstecken liessen. «Fuck you», schreit Amirs Bekannte später den ewigen Lichtern der Stadt entgegen, als sie ihren Oberkörper aus dem Autofenster hievt und ihre Haare im Wind flattern lässt: «Yes! Fuck you!» immer und immer wieder. [...] Als die Autoritäten von Ahmadzadehs klandestinen Aktivitäten Wind bekamen, wurde ihm das Visa für die Ausreise entzogen. Nach Locarno, wo Critical Zone mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde, durfte er nicht reisen und steht seitdem unter ständiger Überwachung. Derweil fährt sein Protagonist weiter durch die Nacht, geleitet nur von der beruhigend-gleichgültigen Stimme seines GPS-Systems, das ihn vor drohenden Gefahren, Radarfallen und Polizeikontrollen warnt, bis er vielleicht irgendwann sein Ziel erreicht.
Alice Fischer
Perlentaucher.de, 4.6.2024

Filmografie

2007
Pinned (Achmaz) (Kf/cm)
2009
Advantage (Avantage) (Kf/cm)
2011
Collage (Kf/cm)
2012
Zanjan
2013
Kami's Party (Madar-e ghalb atomi)
2015
Atomic Heart Mother (Madar-e ghalb atomi)
2023
Critical Zone (Mantagheye bohrani)

Auszeichnungen

2023
Locarno Film Festival: Golden Leopard
2023
Tokyo FILMeX: Special Jury Prize
2023
Belgrade Festival of Auteur Film: Grand Prix for Best Film