1984 waren die Talking Heads die vielleicht hipste Band des Planeten. Jonathan Demmes fulminanter Konzertfilm fängt das eindrucksvoll ein. Zum 40. Geburtstag kommt Stop Making Sense nun frisch 4K-restauriert auf die grosse Leinwand zurück. Burning down the house (again)! Zu sehen und zu hören sind die Hauptmitglieder der Band David Byrne, Tina Weymouth, Chris Frantz und Jerry Harrison zusammen mit Bernie Worrell, Alex Weir, Steve Scales, Lynn Mabry und Edna Holt. Der Live-Auftritt wurde im Laufe von drei Abenden im Pantages Theater in Hollywood im Dezember 1983 aufgenommen und enthält die denkwürdigsten Songs der Talking Heads. Für viele Kritiker:innen ist dies der beste Konzertfilm aller Zeiten.
Werkangaben
- Regie
- Jonathan Demme
- Drehbuch
- Talking Heads, Jonathan Demme
- Produktion
- Gary Goetzman
- Kamera
- Jordan Cronenweth
- Schnitt
- Lisa Day
- Musik
- Talking Heads
- Besetzung
- n/a
- Land, Jahr
- US 1984
- Dauer
- 88 Minuten
- Verleih
- Xenix Film
- Altersempfehlung
- 8
Zitat
Der Film macht vor, wie eine Band, von der eigenen Musik verführt, zu einem Ganzen zusammenwächst. Die Ekstase der Musik bewirkt damit das Gegenteil dessen, was Sigmund Freud gefordert hatte: «Wo Es war, soll Ich werden», schrieb er.
Jean-Martin Büttner
Tagesanzeiger, 22.11.2023
Kommentare
Als die vier Amerikaner in Deutschland auftreten und sich Leute im Publikum beklagen, sie könnten die Texte nicht verstehen, weiss der Sänger Rat: «If you dance», sagt David Byrne, «you might understand the words better.»
Wer tanzt, versteht besser. Aber nicht, weil sich der Tanz als Fortsetzung der Sprache anbietet. Sondern weil er als «Erlösung aus den Fesseln der Sprache» funktioniert, wie der Germanist Manfred Schneider erkannte. Wer tanzt, versteht die Texte besser. Weil er sie fühlt. Nicht mehr als Sprache. Dafür als Vibration.
Wobei David Byrne auch sagt, Menschen in Ekstase sähen lächerlich aus. Auf ihn trifft das zu. Schon weil er den ungelenken Auftritt forciert: eines weissen, verknoteten, pathologisch schüchternen, möglicherweise autistisch gebremsten Intellektuellen. [...]
Demme und Byrne, der Regisseur und der Sänger, hatten das Konzept dieses Konzerts als Prozess entworfen: als Stationen einer Befreiung aus dem selbst gewählten Gefängnis der Vernunft. Nur wer sich gehen lässt, kommt bei sich selber an. Stop Making Sense, der Filmtitel, geriet zum Schlachtruf der Postmoderne: Hört endlich auf, Sinn zu machen, und seid froh.
Jetzt, vierzig Jahre nach dem ersten Erscheinen von Demmes Konzertdokument – der Regisseur starb 2017 mit 73 Jahren an Krebs –, haben die Talking Heads ein neues Mastering von Film und Soundtrack machen lassen. Die Musik mit ihren perkussiven Rhythmen, den gospelgeformten Befreiungsgesängen, ihren scharf konturierten Funk-Akkorden in ihrer brillanten filmischen Inszenierung klingt jetzt raumfüllend. Und wirkt noch stärker, tiefer und wilder als im Original. Beim Zuschauen kommt man sich vor wie der Regisseur selber, den man im Film mitten auf der Bühne stehen sieht mit seiner Kamera, umgeben von der Musik, ergriffen und konzentriert.
Jean-Martin Büttner
Tagesanzeiger, 22.11.2023
Kommentare
Stop Making Sense ist weit mehr als nur ein Konzertfilm, der eine Tour dokumentiert. Zwar wurden alle Aufnahmen für den Film bei vier Live-Konzerten in Los Angeles im Dezember 1983 aufgenommen. Aber bis zum letzten Song ist das Publikum eben nur schemenhaft zu sehen, anders als in anderen Konzertfilmen, in denen begeisterte Fans immer wieder gegen den Auftritt geschnitten werden. [...]
Dabei wird teils die Kontinuität gewahrt, indem zwischen den Songs zu sehen ist, wie ein Instrument gewechselt wird, teils wird gerade die Diskontinuität hervorgehoben und die Gitarren oder Bässe sind unvermittelt ganz andere als noch im vorherigen Song. Erstaunlicherweise erzeugen gerade diese Verfremdungseffekte – das Stolpern, das Durchbrechen der vierten Wand und die Diskontinuitäten – die Suggestion eines Live-Konzerts. [...]
Wenn schliesslich und endlich beim finalen Song «Crosseyed and Painless» auch das tanzende Konzertpublikum zu sehen ist, fällt schmerzlich das grösste Defizit des Films auf: Das Kino ist gemeinhin kein Ort zum Tanzen, das Publikum fühlt sich an den Sitz gefesselt.
Chris W. Wilpert
Jungle World, 28.03.2024
Filmografie
- 1974
- Caged Heat
- 1977
- Handle With Care
- 1980
- Melvin and Howard
- 1984
- Stop Making Sense
- 1984
- Swing Shift
- 1986
- Something Wild
- 1987
- Swimming to Cambodia
- 1991
- The Silence of the Lambs
- 1993
- Philadelphia
- 1998
- Beloved
- 2003
- The Agronomist
- 2004
- The Manchurian Candidate
- 2006
- Neil Young: Heart of Gold
- 2008
- Rachel Getting Married
- 2015
- Ricki and the Flash
- 2016
- Justin Timberlake + The Tennessee Kids
Auszeichnungen
- 1985
- Ghent International Film Festival: Grand Prix
- 1985
- National Society of Film Critics Awards: Best Documentary