Nos utopies communautaires
Vorstellung vom
- Regie: Pierre-Yves Borgeaud
- CH 2022
- 98 Minuten
Nos utopies communautaires
In den 1970er Jahren erprobten sie neue Lebensformen: Kommunen, Hausbesetzungen oder die freie Liebe. Immer in der der Hoffnung auf echte Veränderungen. Heute, im Ruhestand, experimentieren sie mit neuen Wohnformen und fördern Möglichkeiten, um gemeinsam besser zu leben und alt zu werden – im Ökoquartier oder in partizipativer Nachbarschaft, wo Gemeingüter und Teilen wichtig sind. Was wäre, wenn diese ehemaligen Aktivisten, deren Utopien durch den triumphierenden Individualismus gedämpft wurden, doch Recht hätten?
Werkangaben
- Regie
- Pierre-Yves Borgeaud
- Drehbuch
- Pierre-Yves Borgeaud
- Produktion
- Heinz Dill
- Kamera
- Patrick Tresch, Pierre-Yves Borgeaud
- Schnitt
- Pierre-Yves Borgeaud, Prune Jaillet
- Musik
- Sacha Ruffieux
- Land, Jahr
- CH 2022
- Dauer
- 98 Minuten
- Verleih
- Louise va au cinéma
- Altersempfehlung
- 16
Zitat
Lohnend ist [das] schon wegen dem ungebrochenen Idealismus seiner Protagonist:innen, wegen ihrer Lust an der Veränderung und ihrem schier uneingeschränkten Commitment zur Gemeinschaftlichkeit und zur Kompliz:innenschaft.
Corinne RiedenerSaiten.ch, 05.09.2022
Filmografie
- 2003
- iXième
- 2004
- Family Music
- 2007
- Retour à Gorée
- 2013
- Viramundo – Un voyage musical avec Gilberto Gil
- 2021
- Le sexe c'est dégoûtant
- 2022
- Nos utopies communautaires
Kommentare
bWas assoziierst du mit dem Wort «Utopie»?/b
Ich erinnere mich an eine Diskussion mit einem älteren Kollegen. Für ihn war das Thema nicht mehr aktuell. Ein Gefühl von Déjà-vu, von Vergangenheit. Utopie konnte man überall und nirgends sehen. Und dann erinnerte ich mich daran, dass dieser Freund die 70er Jahre in den Protestbewegungen erlebt hatte, die auch die Schweiz bewegten, in Erwartung eines bevorstehenden grossen Untergangs. Er war Maoist, und hatte ernsthaft an die Möglichkeit einer neuen, zwangsläufig besseren Welt geglaubt. Dann hatte er eine Enttäuschung erleben müssen.
bWarum hast du dich bei deiner Recherche auf diese ehemaligen Protestler, die heute im Ruhestand sind, konzentriert?/b
Ich stellte fest, dass viele dieser kollektiven Wohnprojekte in der Schweiz von Menschen initiiert wurden, die in den 1970er Jahren die Werte der herrschenden kapitalistischen Gesellschaft in Frage gestellt hatten. Diese aktiven Rentner engagieren sich heute in Nachbarschaftsprojekten, in der Permakultur, für Nachhaltigkeit, im Tauschhandel oder auch in den neuen Wohngenossenschaften. Ich entdeckte neue Projekte und Modelle, unter anderem für das dritte Lebensalter: solidarische Gemeinschaften, geschützte Wohnungen, generationsübergreifende Genossenschaften, in denen es um Räume und Gemeingüter geht. Einige junge Rentner planen oder beschliessen, in einer Form zu leben, die ein wenig an die Gemeinschaften von früher erinnert. Die Dinge ändern sich. [...] Die Nachbarschaftsrevolution ist im Gange und könnte sich der grauen Revolution anschliessen, die durch die dramatische Kurve der demografischen Entwicklung angekündigt wird. Die Modernität ist da. Die Utopie auch.
Pierre-Yves BorgeaudInterview mit dem Regisseur im Pressedossier
Kommentare
Vor der Postmoderne hatten es die Utopien noch leicht. Bisschen Kommunenleben, bisschen Landleben, bisschen Genossenschaftsleben eben. So plakativ scheint es zumindest, wenn man sich mit Jahrgang 1984 Dokus von früher ansieht. Heute wird jede Bewegung, jede Form der Gegenkultur subito kapitalistisch vereinnahmt, realpolitisiert oder anderweitig zerredet.
Dass früher freilich auch nicht alles so einfach und unbeschwert war, merkt man schnell, wenn man den Aktivist:innen dieser Zeit zuhört. Aber der Aufbruch war real. Man sieht es in ihren Lachfalten, wenn sie «von damals» erzählen. Gesellschaftliche Utopien wurden radikal erprobt und ausgelebt, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, aber scheinbar immer mit Verve. Pierre-Yves Borgeauds neuer Film Nos utopies communautaires – Die Kunst des Zusammenlebens erzählt davon. Vor allem aber geht er der Frage nach, wie die Aktivist:innen von damals ihre Utopien heute leben – entlang ihrer Wohnformen.
Pierre-Yves Borgeaud erzählt diese Geschichten collagenartig, blickt zurück und fragt nach vorn. Die Einordnungen überlässt er seinen Protagonist:innen. Da fallen bedenkenswerte Sätze wie: «Der Kopf will besitzen» – «Eine Beziehung zu führen ist schwieriger als das Leben selbst» – «Macht ist Arbeit. Vorstandsmitglied in einer Genossenschaft zu sein bringt nur Ärger und Verdruss». Alle stehen fest im Leben, wirken abgeklärt, aber ohne an Idealismus verloren zu haben. Und sie sind sich auch nicht zu schade, einen Schritt zurückzugehen, wenn sie erkennen, dass ein Weg für sie nicht der richtige ist.
Corinne RiedenerSaiten.ch, 05.09.2022