La chimera

Vorstellung vom
  • Regie: Alice Rohrwacher
  • IT/FR/CH 2023
  • 134 Minuten
c1nef1l34e6a1565 59a2 4f51 9c66 c06d6f6e45eb Schliessen

La chimera

Italien in den 80er Jahren. Der seltsame Brite Arthur ist als Wünschelrutengänger der grosse Trumpf der wilden Truppe von «Tombaroli», die die etrurische Erde auf der Suche nach antiken Schätzen umgraben: Grabbeigaben von unermesslichem Wert, gemacht für die Seelen der Verstorbenen, nicht für die Augen der Menschen. Doch Arthur jagt nicht der Chimäre vom schnellen Geld nach. Seine Chimäre sieht aus wie die Frau, die er verloren hat, Beniamina. Um sie zu finden, fordert er die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem heraus, auf der abenteuerlichen Suche nach jenem Tor zum Jenseits, von dem die Mythen sprechen.

Werkangaben

Regie
Alice Rohrwacher
Drehbuch
Alice Rohrwacher
Produktion
Carlo Cresto-Dina, Alexandra Henochsberg, Pierre-François Piet, Gregory Gajos, Michela Pini, Amel Soudani, Olga Lamontanara
Kamera
Hélène Louvart
Schnitt
Nelly Quettier
Musik
n/a
Besetzung
Josh O’Connor (Arthur), Carol Duarte (Italia), Isabella Rossellini (Flora), Alba Rohrwacher (Spartaco), Vincenzo Nemolato (Pirro)
Land, Jahr
IT/FR/CH 2023
Dauer
134 Minuten
Verleih
Filmcoopi
Altersempfehlung
12

Zitat

In allen Zwischenräumen dieses Films wuchert es, wild und schön: zwischen Mensch und Mensch, Gemeinschaft und Erde, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Ein roter Faden existiert, sogar buchstäblich, aber wo er hinführt, bleibt offen. Was ihn gespannt hält, kann nichts anderes als Magie sein.
Dominic Schmid
Woz, 12.10.2023


Kommentare

Seine Haltung darf wie vieles im Film als parabelhafter Kommentar zur Wirklichkeit verstanden werden. Zwischendurch ordnet gar ein Volkssänger in didaktischen Liedern die Erzählung ein. Die Moral des Märchens? Es gibt andere Werte als nur den des Geldes. Höhepunkt dieser moralischen Zuspitzung ist eine brechtianische Szene, in der sich die Schweizer Händler und die Grabräuber gegenüberstehen und dabei bellen und kläffen wie Hunde. Die Anklage gilt dabei nie den Menschen, die Rohrwacher stets liebevoll und mit zugeneigtem Humor betrachtet. Sie gilt den Systemen, in denen diese Menschen leben müssen. Rohrwacher setzt mit ihrem humanistischen Blick, der auch die Toten, die Pflanzen und die Tiere einschliesst, dort an, wo sie mit Le meraviglie und Lazzaro felice aufhörte. Sie lässt ein dekadentes, zynisches Italien auf mögliche Utopien treffen und zeigt damit auf, wie weit sich ihr Heimatland von einem gesunden Verhältnis zur Wirklichkeit entfernt hat. In diesem Fall arbeitet sie sich vor allem an einem Verhältnis zur Vergangenheit ab. Sie kritisiert den blinden Fortschrittsglauben zulasten spiritueller Werte. Das klingt auf den ersten Blick konservativ, trifft aber auf drängende Fragen zum Umgang mit dem Planeten und liefert radikale Ansätze für ein anderes soziales Zusammenleben. Damit schliesst sich die Filmemacherin gleichsam einer aufregenden Kinobewegung an, die seit etwas mehr als einem Jahrzehnt das italienische Kino auszeichnet. Filmemacher wie Michelangelo Frammartino (Il buco, Le quattro volte) oder Pietro Marcello (Martin Eden, L’envol) stellen wie Rohrwacher mit ihren Filmen einen Kontakt zur Natur her, der gleichermassen romantisch wie politisch ist. So gibt es in ihren Filmen keine Hierarchie zwischen den Lebewesen, der Mensch wird als Teil grösserer Systeme verstanden, die er zerstört. In ihren Filmen gibt es folglich eine zyklische Zeitwahrnehmung, in der Traditionen und Wunder eine Rolle spielen. Damit treten diese Filmschaffenden in die Fussstapfen von Kinovisionären wie Pier Paolo Pasolini oder Ermanno Olmi. Diese neue Generation italienischer Filmemacher wagt die Überwältigung. Sie nutzt dafür keine Spezialeffekte oder Sci-Fi-Tropen, sondern die Kraft der Wirklichkeit. Im besten Fall lehren Rohrwacher und Co. das Staunen, man erkennt, von welcher Schönheit man umgeben ist. La chimera ist ein Plädoyer für eine Welt, die älter ist als die gesellschaftlichen Werte, die sie heute bestimmen mögen. Es geht darum, dass man nicht alles wissen und schon gar nicht besitzen muss. Dass die Filmemacherin neben der Chimäre auch noch die Metapher durchziehender Vögel bemüht, unterstreicht ihren Appell an menschliche Demut im Gegensatz zu kapitalistischer Ruchlosigkeit. Der Mensch ist zu Gast auf dem Planeten, er zieht nur durch. Ein einzelnes Leben ist ein Witz im Vergleich zur grossen Geschichte. Zu glauben, dass solche Botschaften etwas bewegen, ist womöglich ein bisschen naiv, aber so sind Märchen nun mal, und es ist kein Geheimnis, dass sie doch die Wahrheit sagen.
Patrick Holzapfel
NZZ, 13.10.2023


Filmografie

2011
Corpo celeste
2014
Le meraviglie
2015
De Djess (Kf/cm)
2018
Lazzaro felice
2022
Le pupille (Kf/cm)
2023
La chimera

Auszeichnungen

2023
Cannes Film Festival: AFCAE Art House Cinema Award
2023
Chicago International Film Festival: Best Cinematography, Best Ensemble Performance
2023
Telluride Film Festival: Silver Medallion Award
2023
European Film Awards: Best Production Designer (Emita Frigato)
2024
Nastro d'Argento (IT): Best Supporting Actress (Isabella Rossellini)
2024
Swiss Film Awards: Best Sound (Xavier Lavorel)