Ich Ich Ich
Als Marie von ihrem Freund einen Heiratsantrag bekommt, weiss sie nicht, wie sie reagieren soll und flüchtet sich aufs Land, um allein über alles nachzudenken. Aber ihre Gedanken folgen ihr, sitzen in Fleisch und Blut um sie herum: Ihre Mutter zählt Babynamen auf, ihr Exfreund klettert von Bäumen herunter und eine Frau im Sari erzählt Maries Leben in Gedichten. Schliesslich kommt ihr Freund dazu und bringt seine eigenen Gedankenmenschen mit. Was wäre, wenn man sich seine Gedanken zeigt? Wie viel Ehrlichkeit verträgt eine Beziehung?
Werkangaben
- Regie
- Zora Rux
- Drehbuch
- Zora Rux
- Produktion
- Leonie Minor, Roxana Richters
- Kamera
- Jesse Mazuch
- Schnitt
- Zora Rux, Kalle Boman, Henning Stöve, Martin Herold
- Musik
- Ben Rössler, Mister Milano, Jonathan Ritzel
- Besetzung
- Elisa Plüss (Marie), Thomas Fränzel (Julian), Lola Klamroth (Louise), Sebastian Schneider (Henrik), Judith van der Werff (Maries Mutter), Henriette Confurius (Natalia)
- Land, Jahr
- DE 2021
- Dauer
- 85 Minuten
- Verleih
- UCM.ONE DE
- Altersempfehlung
- 12
Filmografie
- 2014
- Geschützter Raum (Kf/cm)
- 2015
- What Happens in Your Brain If You See a German Word Like...? (Kf/cm)
- 2021
- Ich Ich Ich
Zitat
Wenn zwei miteinander schlafen, das weiss die Psychoanalyse, sind immer mindestens vier im Bett: Die leiblich Anwesenden und die Imaginierten oder die als innere Instanz Verkörperten. Ein Skript, das die Dramatik der meisten Paarbeziehungen antreibt, findet in Ich Ich Ich seine vielleicht schönste und originellste Realisierung.
Silvia BahlFilmdienst.de, 30.11.2022
Kommentare
Es sind Situationen, die gerade im deutschen Film sehr schnell in peinlichen Klamauk umschlagen können. Umso mehr staunt man, wie bei Zora Rux’ Langfilmdebüt Ich Ich Ich jede Einstellung mit sensiblem Understatement genau den richtigen Ton trifft. Dass man sich dabei auch ein wenig an das skandinavische Kino erinnert fühlt, erklärt sich vielleicht durch die langjährige Zusammenarbeit der Regisseurin mit dem Schweden Roy Andersson. Neben ihrem Studium an der DFFB hat sie für den Film Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach als Casting-Direktorin gearbeitet.[...]
Dass die Angst, einer «toxischen Männlichkeit» anzugehören, sich bereits als eigene psychische Instanz abzeichnet, ist nur eine der vielen genauen Beobachtungen, mit der Zora Rux Zeitgeistiges gelungen zuspitzt.
Eine weitere zeigt sich in Form einer eingeblendeten Social-Media-Pause, die den Film nach vierzig Minuten unterbricht und Zuschauer dazu einlädt, ohne Scham die verpassten Push-Benachrichtigungen zu checken. Wenig später steht Marie in einem dunklen Wald voller hellerleuchteter Bildschirme und bekommt von einem übergriffigen Medienmenschen einen Gedanken eingeflösst. Ob es nicht verführerisch wäre, anderen Personen ohne jede Vermittlung ein Bild von sich zu implantieren, das man von sich erschaffen hat? Wäre das nicht eine Möglichkeit, die ganze Welt selbstbestimmter und gerechter zu machen? Marie ist nicht überzeugt. Als sie nach einer Möglichkeit fragt, auch keine Bilder zu versenden, versteht der «Gedankenschaltzentralenverkäufer», wie er im Abspann heisst, Maries Anliegen nicht. Das bringt in nur einem Dialog das Problem der Sozialen Netzwerke auf den Punkt, die jeden Akt der Kommunikation positivieren und monetarisieren, lange bevor das Bewusstsein dies realisieren kann.
Sind Maries wuchernde Gedanken schon Ausdruck einer so beschleunigten Kommunikationsgesellschaft, in der das unablässige Rauschen der Plattformkanäle das Ich hinwegspült? Oder ist sie nicht eher ein unzeitgemässer Gegenentwurf, der sich die verlorene Zeit zurückerobert und dem Geschmack der Vergangenheit nachspürt wie einer Proust’schen Madeleine? Und der eine ältere Dame im indischen Sari als ihr lyrisches Ich auftreten lässt, das sich dem eigenen Pathos hingibt, anstatt an einem glatten und gefälligen Image zu arbeiten, wie es so viele tun? Zora Rux schafft mit ihren Tableaux vivants einen mentalen Raum, in dem sich szenische Konstellationen so allmählich entfalten können wie ein assoziativer Gedankengang. In ihm blitzt immer wieder fabelhafte Situationskomik auf, ebenso wie berückende Bildideen.
Silvia BahlFilmdienst.de, 30.11.2022