About Kim Sohee

An der Oberfläche wirkt der Film spröde, darunter ist er so einfühlsam wie wütend. Selten möchte man bei einem Faustschlag derart jubeln wie hier.

Jung hat ihre Erzählung in jene zwei Teile gegliedert, die sich auch in der Wirklichkeit ergaben: Das Schicksal einer jungen Frau und die Suche einer älteren nach den Umständen. Im Kern dreht sich der Film um die Arbeit in Callcenters, aber man kann ihn weit über das hinaus sehen als Beschreibung unserer Arbeitswelten, die von Zeitdruck und Erwartungshaltungen geprägt sind. Ken Loach hat das in Sorry We Missed You 2019 auf Grossbritannien bezogen eindrücklich geschildert. About Kim Sohee ist sozusagen eine asiatische Nichte seiner Hauptfigur Ricky. Im Callcenter-Umfeld erleben wir die unsäglichen Belastungen durch Erfolgsvorgaben. Ist der erste Teil des Films so etwas wie eine Gesellschaftsstudie über den Umgang in einer Welt der Hierarchien und Gewinnmaximierung, so stellt sich der zweite Teil als Krimi heraus, der die Hintergründe im ersten Teil blosslegt. Die Umstände sind koreanisch, die Entwicklungen global.

Das Drama, in der Spannung einem Thriller gleichwertig, gibt einen Einblick in einen Teil des Arbeitsmarktes, den wir auch bei uns kennen. Bis zu 30 Prozent der Menschen sollen in den USA und Europa als Aushilfskräfte oder auf Abruf in ähnlichen schlecht bezahlten Stellen beschäftigt sein. About Kim Sohee prangert die Auswüchse der sogenannten Gig-Economy an, des Systems der Gewinnmaximierung auf Basis von Ausbeutung. Zum vermeintlichen Wohl aller gilt es für Einzelne, Opfer zu bringen. Nach diesem Prinzip war die turboartige Industrialisierung Südkoreas erst möglich, doch gerät das System heute an seine Grenzen, weil die Kluft zwischen den sozialen Klassen immer grösser wird und der Druck auf den Einzelnen auch. Südkorea hat die höchste Suizidrate aller OECD-Länder, bei Jugendlichen ist Selbstmord die häufigste Todesursache. Die Regisseurin July Jung fragt danach, wer die Schuld an diesen Suiziden trägt. Angespannt folgt man der Polizistin, die nach einem solchen sinnlos scheinenden Todesfall im Callcenter ihre Ermittlungen aufnimmt. Gerne möchte man glauben, es könne jemand dafür belangt werden, doch man weiss es eigentlich besser. Denn im Grund tragen alle Teilnehmer des Systems eine Mitschuld, und dadurch ist niemand belangbar. July Jung behandelt in reduziertem und naturalistischem Stil ein schwieriges Thema, aber verfällt nie ins Moralisieren. Sie behandelt ihre Figuren mit Respekt und ist nicht auf scheinbar einfache Lösungen aus. Darum ist diese Geschichte so eindringlich.