Memoria

Vorstellung vom
  • Regie: Apichatpong Weerasethakul
  • CO/TH/FR, 2021
  • 136 Minuten
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Memoria

Jessica, eine wegen eines mysteriösen Geräuschs an Schlafstörungen leidende Orchideenexpertin, reist ins kolumbianische Medellín, um ihre Schwester dort im Krankenhaus zu besuchen. In Kolumbien begibt sich Jessica auch auf die Suche nach dem Ursprung des Geräuschs, das nur sie selbst wahrnimmt. So lernt sie einen Tontechniker kennen, der das Geräusch für sie im Studio "nachbaut". Wenig später begegnet sie einer Archäologin, die menschliche Überreste untersucht, welche beim Bau eines Tunnels entdeckt wurden. Als sie zu diesem Tunnel in die Berge reist, beginnt Jessica zu vermuten, dass das geheimnisvolle Geräusch womöglich Ausdruck einer unheilvollen Vorahnung ist.

Werkangaben

Regie
Apichatpong Weerasethakul
Drehbuch
Apichatpong Weerasethakul
Produktion
Apichatpong Weerasethakul, Diana Bustamante, Simon Fields, Keith Griffiths, Charles de Meaux, Michael Weber, Julio Chavezmontes
Kamera
Sayombhu Mukdeeprom
Schnitt
Lee Chatametikool
Musik
César López
Besetzung
Tilda Swinton (Jessica Holland), Elkin Díaz (older Hernán Bedoya), Jeanne Balibar (Agnes Cerkinsky), Juan Pablo Urrego (younger Hernán Bedoya), Daniel Giménez Cacho (Juan Ospina)
Land, Jahr
CO/TH/FR, 2021
Dauer
136 Minuten
Verleih
Cinémathèque Suisse

Zitat

In einem freien, offenen Filmexperiment begegnet [Weerasethakul] dem Gedächtnis, das den Menschen und Landschaften innewohnt. Spuren von Schönheit und Grauen, die Erinnerung als Tonmosaik und pulsierendes Licht.

Daniel Nehm
Die Zeit, 5.5.2022

Kommentare

Jede Szene mit Swinton ist ein Ereignis, weil sie so unmittelbar auf ihre Umgebung reagiert und gleichzeitig all das, was sie betrachtet und berührt, zum Schwingen bringt. Ihr Spiel selbst ist Musik. Weerasethakul und Swinton lassen uns an einer Art Performance teilhaben: an einem Versuch, die schöne, neue Welt – gegenläufig zum kolonialen Narrativ – nicht zu erobern, sondern sich in eine Position der Verletzlichkeit zu begeben, sich ihr auszusetzen und zu beobachten, was die Frequenzen ihrer Geschichte in uns auslösen.

Daniel Nehm
Die Zeit, 5.5.2022

Mit dem so einfach klingenden Titel «Memoria» öffnet der thailändische Regisseur zugleich eine Menge von Assoziationen in einem Land, in dem Erinnerung immer auch eine Frage der Erinnerungspolitik ist. Denn viele schreckliche Dinge sind in Kolumbien passiert, vor allem in den Jahrzehnten, in denen Regierung und Guerillas auf dem Rücken der Bevölkerung um ihre Einflussbereiche kämpften. Weerasethakul will allerdings weit hinter die jüngere Gewaltgeschichte zurück, an einer Stelle wird ein Schädel exhumiert, von dem es heißt, er wäre 6000 Jahre alt. Er hat ein Loch im Knochen, das vielleicht auf eine brutale therapeutische Maßnahme verweist: jemand hat auf diese Weise böse Geister entweichen lassen.
In Thailand wurde Apichatpong Weerasethakul berühmt mit seinen murmelnden Geisterfilmen, mit denen er die Traumata seines Heimatlands in rätselhafte Heilungsprozesse überführte. «Memoria» ist nun ein großer Sprung für ihn, auf einen neuen Kontinent und in ein Land, in dem er die allgegenwärtigen geschichtspolitischen Zeichen nicht ohne weiteres lesen kann.
In einer Schlüsselszene liegt Hernán minutenlang in einer Starre, die ihn wie einen Toten aussehen lässt. Es ist auch der Moment, in dem Weerasethakul seine Theorie der Erinnerung konkret werden lässt, um die es ihm in «Memoria» vielleicht geht: Er deutet nämlich an, dass es möglich sein könnte, den allerpersönlichsten Raum, den des traumatischen Schmerzes, mit jemand zu teilen. Es braucht dazu wohl ein Medium wie Jessica, eine hoch empfängliche Frau („wie eine Antenne“, heißt es an einer Stelle sogar), eine Person, die sich auf eine lange Reise begibt an einen Ort, an den sie sich nur von einer Reihe von Zufällen leiten lassen kann. […]
Die grundstürzenden Ereignisse bleiben in der Regel unbemerkt. Das ist auch im Kino von Apichatpong Weerasethakul eine Regel, die er nur im schützenden Raum seiner zerbrechlichen Erzählungen in leisen Andeutungen bricht. […]
Der Knall aber, der alles erklärt, ist zugleich auch der Knall, der alles auslöscht, was nach Erklärung klingen könnte. Das „Rumoren aus dem Innersten der Erde“, von dem Jessica zu Beginn auch sprach, hat sie auf eine Umlaufbahn gebracht, die eben jene Erde in ihre kosmische Dimensionen rückt. Erst dieser Rahmen passt für die persönlichsten Erinnerungen verletzlicher Menschenwesen.

Bert Rebhandl
Süddeutsche Zeitung, 4.5.2022

Auszeichnungen (Auswahl)

2021
Cannes Film Festival: Jury Prize
2021
Chicago International Film Festival: Gold Hugo (Best Feature)
2022
London Critics Circle Film Awards: British/Irish Actress of the Year (Tilda Swinton)
2022
Online Film Critics Society Awards: OFCS Award (Best Sound)

Filmografie (Auswahl)

2002
Blissfully Yours
2003
The Adventure of Iron Pussy
2004
Tropical Malady
2006
Syndromes and a Century
2010
Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives
2011
Ashes (Kurzfilm)
2012
Mekong Hotel
2015
Cemetery of Splendour
2021
Memoria